Minutenpsychologie

Wussten Sie eigentlich …
… dass die Täter-Opfer-Umkehr zu einer sekundären Viktimisierung führt? Dies geschieht, wenn etwa scheinbare Beweise gesucht und gefunden werden, wonach das Opfer eines sexuellen Übergriffs den Täter zu seiner Tat animiert oder gar herausgefordert hat.

Vom Opfer zum Täter!?

1968 entwickelte der kalifornische Psychologe Stephen Karpman das sogenannte Dramadreieck. Damit lassen sich grundsätzliche Abläufe zwischenmenschlicher Konfliktsituationen beschreiben. Im Dramadreieck übernehmen die mindestens zwei Beteiligten im ständigen Wechsel die Rollen Täter bzw. Verfolger, Opfer und Retter. Es entsteht eine pathologische Symbiose, zumal alle Beteiligten in ihrer jeweiligen Rolle durch Schuldumkehr Entlastung, Aufmerksamkeit und Anerkennung gewinnen wollen. Ein in seiner Dynamik höchst schädlicher Teufelskreis nimmt immer mehr Fahrt auf. Diese dramatischen Rollenspiele ereignen sich im Privatleben genauso wie im beruflichen Alltag. Ein konstruiertes, fiktives Beispiel: Mitarbeiterin A fühlt sich von Kollege B herabwürdigend behandelt, B sei insgesamt übergriffig und bedrohlich. Sie nimmt damit die Opferrolle ein, dem Kollegen B wird die Täterrolle zugeschrieben. Mitarbeiterin A beklagt sich beim Vorgesetzten C über das Verhalten von Kollege B, damit geht sie aber unweigerlich in die Täterrolle. Jetzt kommt Kollegin D hinzu, die das Verhalten von Kollege B in neuem Licht erscheinen lässt und somit relativiert. Kollegin D geht in die Retterrolle. Vorgesetzter C stellt B zur Rede und fordert von B eine Entschuldigung bei Mitarbeiterin A sowie eine nachweisliche Korrektur seines Fehlverhaltens. Jetzt ist Kollege B in der Opferrolle. B beklagt sich bei Kollegin D über die überzogenen Anweisungen des Vorgesetzten C und nimmt damit eine neue Täterrolle ein. Kollegin D könnte jetzt als stellvertretendes Opfer den Betriebsrat in eine Retterrolle manövrieren. Der Betriebsrat könnte Mitarbeiterin A zu ihren Anschuldigungen anhören und sie damit auch in eine weitere Opferrolle bringen, das wäre sekundäre Viktimisierung. Und so weiter.

Key Takeaway: Das Dramadreieck holt sich ständig neue Energie durch Manipulation in alle Richtungen. Analysieren Sie Ihre nächste problematische Konfliktsituation. Erkennen Sie Ihre jeweiligen Rollen, manchen Sie sich mögliche Vorteile bewusst. Täter erscheinen mächtig, überlegen, kontrollierend, Opfer nutzen die Macht des stetigen Beschuldigens und entgehen damit der Verantwortung, Retter ziehen moralischen Gewinn aus der Rolle des vermeintlich Besonnenen und Besseren. Mitunter braucht es zur Auflösung eines Dramadreiecks externe Mediation oder Supervision.

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Ihr

Dr. Stefan Gerhardinger