Wussten Sie eigentlich …
… dass Statistiken der Weltgesundheitsorganisation einen Anstieg der gemeldeten psychischen Störungen um 13 % in den letzten zehn Jahren zeigen? Das kann aber auch am ausgebauten Versorgungssystem, an geringerer Stigmatisierung und neuen Diagnosen liegen.
Diagnosen-Inflation in der Psychiatrie?
Diagnose stammt aus dem Griechischen und beschreibt eine Erkenntnis, die entsteht, indem eine Oberfläche durchdrungen und das Geschehen dahinter verstanden wird. Diagnosen verschaffen den Helfern also einen Durchblick. Ehe es beschreibbare psychische Erkrankungen gab, ging man davon aus, der schwer verhaltensauffällige Mensch sei ganz einfach von Dämonen besessen, die dann eben ausgetrieben werden mussten. Später entstanden Begriffe wie Geisteskrankheit, Gemütskrankheit oder ganz einfach Wahnsinn. Die Schizophrenie wurde vom Psychiater Kraepelin Dementia praecox genannt, worunter er einen vorzeitigen Schwachsinn verstand. Die Einteilung psychischer Störungen in Neurosen und Psychosen etablierte sich ab Anfang des 20. Jahrhunderts. Vereinfacht, aber erklärend ausgedrückt heißt das: Der Normale sieht 1 plus 1 eindeutig als 2. Der Psychotiker nimmt bei 1 plus 1 ein großkariertes Fabelwesen mit bösen Absichten wahr. Der Neurotiker erkennt die 1 plus 1 zwar als 2, leidet aber darunter und spürt, wie sehr es ihn aufregt. Psychotiker erleiden einen Realitätsverlust, Neurotiker sind sich ihrer Störung bewusst und können doch nichts daran ändern. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden Klassifikationsschemata, die in ihren aktuellen Versionen als DSM V und ICD 11 vorliegen. Die Anzahl psychiatrischer Diagnosen ist im Laufe der Jahre sehr stark angestiegen. So gibt es jetzt eine Gaming Disorder und eine posttraumatische Verbitterungsstörung. Während das DSM‑I von 128 verschiedenen Diagnosen ausging, enthält das aktuelle DSM‑5 bereits 541 Diagnosen.
Key Takeaway
Wenn es hunderte von psychiatrischen Diagnosen gibt und dazu eine schwer überschaubare Menge an Sonderformen, dann ist es niemals gerechtfertigt zu sagen, er oder sie sei psychisch krank. Wir sagen ja auch nicht, er oder sie ist körperlich krank. Und doch hilft genaue Etikettierung alleine nicht. Es macht gemäß des griechischen Diagnosebegriffes mehr Sinn zu fragen, was jemandem fehlt, als sich nur darauf zu kaprizieren, was jemand hat.
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Ihr
Dr. Stefan Gerhardinger